Inhaltsverzeichnis
Aktualisiert zuletzt am 14. Februar 2022
1) Manche Erlebnisse rauben einem den Schlaf
„Ich habe noch heute Alpträume. Ich traue mich nicht, die Vorhänge meines Zimmers zu öffnen. Als Kind habe ich gesehen, wie nachts vor meinem Fenster Leute erschossen wurden.”
Keiner von uns sagt etwas. Wir alle blicken unseren Guide an. Ivan lacht viel, ist Mitte dreißig und herzlich. Aber was er erlebt hat, hat ihn für den Rest seines Lebens gezeichnet.
Er zündet sich eine Zigarette an. Sowieso raucht Ivan ziemlich viel, aber das ist in Bosnien keine Seltenheit. Der viel zu dünne Mann deutet auf die Landschaft vor uns. Dort auf den Bergen, die Sarajevo zu so einem besonderen, wunderschönen Ort machen, standen noch vor nicht mal dreißig Jahren Panzer. Leute zahlten tausende Euro, um nur zum Spaß Schießübungen auf Zivilisten in der Stadt praktizieren zu dürfen.
Sarajevos traumhafte Lage wurde der Stadt zum Verhängnis. Was nun ein verlockendes Reiseführer-Cover abgeben würde, kostete zwischen 1992 und 1996 viele Menschen das Leben. Denn die Lage im Tal machte Bosniens Hauptstadt zum perfekten Belagerungsopfer. Vier Jahre lang kam kein Mensch aus Sarajevo raus oder in die Stadt hinein.
Als sich Jugoslawien nach Titos Tod 1980 nach und nach zerwarf, versuchte Serbien durch Militäreinsatz seine Territorien zu behalten. Auch Bosnien wollte Serbien nicht so einfach ziehen lassen.
Und so gab es in Bosnien zwischen 1992 und 1995 vor allem zwei große Belagerungen: Eine in Mostar im Süden des Landes und eine in der Hauptstadt von Bosnien, Sarajevo.
Es sind Wunden entstanden, die die Zeit nur sehr, sehr langsam heilen kann. Wenn sie es überhaupt schafft.
2) Der Krieg hat Sarajevo gezeichnet
Wir fahren über eine Straße aus hunderten Löchern. Löchern von Granaten und Mörsern.
Wir essen zu Mittag in einem kleinen Restaurant. Es bleibt ein mulmiges Gefühl. Während wir uns die Bäuche vollschlagen, haben hier vor zwei Jahrzehnten erbitternde Kämpfe stattgefunden. Wir befinden uns an der Frontlinie der Belagerung von Sarajevo.
Auf der einen Straßenseite stehen neue, renovierte Häuser.
Auf der anderen ein löchriger Käse. Die Frage, wie viele Menschen durch diese Einschusslöcher in der Fassade getötet wurden, möchte sich keiner stellen. Und sich vorzustellen, wie in Sarajevo vier Jahre lang die Menschen Angst hatten, das Haus zu verlassen und sich nicht trauten, ein Licht in der Wohnung anzumachen, hinterlässt mehr als nur einen bitteren Geschmack im Mund.
Überhaupt begegnen einem in Sarajevo überall Einschusslöcher und mehr schlecht als recht zusammengeflickte Fassaden. Man blickt sie an, wenn man einen Kaffee trinken geht oder auf dem Weg in einen Club. Beim Laufen hüpft man über Narben von Granaten.
Würden Beton und Zement leiden, hier in Sarajevo hätten sie sich vermutlich vier Jahre lang die Seele aus dem Leib geschrien.
An manchen Mauern hängen Metallschilder mit Namen. Kinder, die durch Scharfschützen gestorben sind. Und das heißt, dass der Scharfschütze wollte, dass sie sterben.
Andernorts, am Markt von Sarajevo, erinnert eine Namensliste an einen gezielten Raketenanschlag, der die Einwohner von Bosniens Hauptstadt mitten im Leben treffen sollte. Dort, wo sie vielleicht für einen Moment die Last des Krieges vergessen und sich mit den wenigen Lebensmitteln versorgen konnten, die es unter der vierjährigen Belagerung noch gab. Hätte es nicht die Brauerei der Stadt mit eigenem Brunnen gegeben, wäre ein Großteil von ihnen schon weit davor verdurstet.
Man kann den Krieg als Gast in Sarajevo nicht beiseite schieben.
3) Von Verlust und Wiederaufstehen
Zwischendurch ist die Schwere Sarajevos kaum auszuhalten. Man kann sie nicht, wie den Kloß im Hals, herunterschlucken oder wegsehen. Ich bin 28 Jahre alt. Vielleicht wäre ich das nie geworden, wenn ich in Sarajevo geboren worden wäre.
Männer und Frauen in meinem Alter erzählen mir von Vätern, die ihren Weg nicht zurück nach Hause fanden. Von brennenden Häusern und Bildern, die sie nie vergessen werden. Von Freunden, die früher aufeinander schossen und von den Scharfschützen, die gezielt Kinder töteten.
Sie berichten von Tagen ohne Lebensmitteln. In ihren Gesichtern berichten Falten von dem Gefühl, völlig ausgeliefert und machtlos zu sein. Zum Wasserholen in einer Schlange mit dem Tod zu stehen. Zwischendurch merkt man, wie viel Kraft es sie kostet, weiterzusprechen. Bevor ein tapfere Lachen das Zögern durchbricht. Sie machen mir schaudernd klar, dass ich mit meinem Leben einfach nur Glück gehabt habe.
Sarajevo ist eine vernarbte Stadt. Ich weiß nicht, ob ihre Geschichte mich nochmal los lassen wird. Aber noch etwas anderes wird mich verfolgen: Wie magisch schön, stark und mutig Sarajevo heute ist.
4) Sarajevo und die Freundschaft der Kulturen
Mitten in Sarajevos Innenstadt teilt eine schwarze Linie auf dem Boden das Zentrum. „Sarajevo Meeting of cultures“ steht darauf geschrieben. Östlich davon befindet sich der christlich geprägte, neuere Teil Sarajevos. Im Westen liegt der muslimische Kern. Es könnte kaum passendere Worte geben, als dass diese beide Kulturen sich treffen. Friedlich.
Der neue Teil von Sarjevos Innenstadt wird von bunten, stuckverzierten Häusern und modernen Cafés dominiert.
Im westlichen Teil dagegen taucht man in den Orient ein. Hier geht das Leben auf den Straßen ein ganz anderes Tempo. Und wenn aus den Moscheen die Muezzins rufen, bezaubert das die ganze Innenstadt.
Unser Guide Ivan spricht aus, was ich während meiner Balkanreise vor allem von jungen Leuten immer wieder höre:
„Uns ist es egal, welcher Religion du angehörst, wie du aussiehst oder wo du herkommst. Wir wollen alle einfach nur in Frieden leben.”
5) Sarajevo under the Siege Tour
Unbedingt solltest Du in Sarajevo die Sarajevo under the Siege Tour machen. Selten habe ich eine packendere Tour erlebt. Sie führt dich unter anderem aus der Stadt raus, auf die Hügel rund um Sarajevo, wo man vom Anblick des grünen Tals kaum genug kriegen kann.
Am besten machst Du hier noch einen Abstecher zur alten Bob-Rodelbahn, die extra für die olympischen Winterspiele 1984 angelegt wurde.
Sogar wenn man von Sarajevos ganz eigener Geschichte einmal absieht, ist Bosniens Hauptstadt historisch relevant. Denn auf Sarajevos Straßen wurde 1914 der österreichische Prinz Franz Ferdinand bei einem Staatsbesuch erschossen – der Beginn des ersten Weltkrieges wurde eingeläutet.
6) Sarajevo und das Leben
Was aber tun Menschen, die im Krieg groß geworden sind, heute? Wie lebt man sein Leben, umgeben von durchlöcherten Fassaden und Kratern in der Straße? Mit Bildern im Innern, die einen im Schlaf verfolgen?
Bei der dritthöchsten Arbeitslosenquote der Welt, welche um die 40% liegt und gerade jungen Menschen wenig Perspektive bietet, scheint dies in Bosnien generell nicht einfach zu sein. Überhaupt könnte man meinen, dass die Bosnier wenig Grund zur Lebensfreude haben. Politisch läuft es nicht rund, die Mitgliedschaft in der EU lässt auf sich warten, die Wirtschaft hinkt gewaltig. Das Land ist seit dem Krieg noch immer übersät mit Landminen. Wer weiß, wann die einmal alle beseitigt sein werden. Viele junge Leute wandern aus, um eine Zukunft zu haben.
Und doch: Die Bosnier wissen, wie sie leben. Sie genießen es, so gut sie können. Vielleicht kann man auch mit kleinen Dingen einigermaßen zufrieden sein, wenn man ein paar Jahre kaum wusste, ob man den nächsten Tag erlebt. Oder versucht es zumindest.
Die Bosnier sind Könige der Gastfreundschaft. Immer zu einem Spaß aufgelegt. Es wird viel gelacht, viel herumgealbert, viel getrunken und viel geflirtet. Tagsüber sind die Cafés und Restaurants in Sarajevo rappelvoll und nachts zappeln sich die Junggebliebenen bei Livemusik oder den neusten Popsongs die Seele aus dem Leib. Das Leben in Sarajevo findet auf den Straßen statt. Es scheint, als wäre immer was los.
Und man kommt nicht darum herum, von dieser Lebenslust aufgesaugt zu werden.
Zusammenfassende Informationen zu Sarajevo
Sarajevo kannst Du auf vielen verschiedenen Wegen erreichen.
Eurowings und Lufthansa bieten Direktflüge* von Deutschland nach Sarajevo an.
Eine weitaus langwierigere, aber umweltfreundlichere und preiswerte Methode, ist die Busverbindung zu Bosniens Hauptstadt. So kommst Du beispielsweise mit dem Flixbus von Frankfurt in etwa 22 Stunden nach Sarajevo.
Aus den benachbarten Ländern sind Busse in jedem Fall die beste Option, um Sarajevo unkompliziert und auf wunderschöner Strecke zu erreichen.
In Sarajevo ist alles in der Innenstadt fußläufig erreichbar.
Taxis kosten für 10 bis 15 Minuten Fahrt etwa 3-5 €, sind also erstaunlich preiswert.
Möchtest Du zum Beispiel zur Seilbahn von Sarajevo, kannst Du auf einen öffentlichen Bus zurückgreifen.
Sarajevo selbst ist klein, aber die Stadt saugt einen schnell mit ihrer Atmosphäre auf. Ich habe mich dort so wohl gefühlt, dass ich vier Nächte blieb.
Zwei bis drei Nächte solltest Du in jedem Fall einplanen.
Einige Cafés in Sarajevo bieten WLAN an. In den Unterkünften gehört WLAN zur Standardausstattung. Da Bosnien bisher kein Mitglied in der EU ist, greift dort leider kein kostenloses Roaming.
Für den Strom benötigst Du keinen speziellen Reiseadapter.
Die Sarajevo under the Siege Tour ist in Sarajevo ein Muss!
Bei einer Free Walking Tour habe ich leider keine guten Erfahrungen mit unserem Guide gemacht. Andere berichteten mir jedoch, wie informativ und spannend die kostenlose Stadtführung war – einen Versuch ist es also wert.
Wenn Du in Sarajevo nur wenig Zeit hast und dennoch einmal die Stadt von oben sehen möchtest, ist die Trebevic Seilbahn sicher die beste Option.
Sarajevo bietet eine breitgefächerte internationale sowie nationale Küche.
Wenn Du als Backpacker preiswert, schnell und dabei sehr lecker essen möchtest, kann ich Dir den Pingvin Imbiss ans Herz legen.
Dutzende Male habe ich während meiner Osteuropareise anderen das Hostel empfohlen, in dem ich in Sarajevo unterkam. Es ist eines der Hostels, die man nur schweren Herzens verlassen kann und in die man bestimmt einmal zurückkehrt:
Das Hostel Balkan Han*.
Wo soll ich mit der Schwärmerei anfangen? Die Betten sind sehr bequem. Wenn du Glück hast und das untere Bett bekommst, hast du ein Doppelbett ganz für dich allein! Der Besitzer wird in Sekundenbruchteilen zum Freund und kann dich mit vielen Geschichten und großer Gastfreundschaft bereichern.
Die vom Hostel selbst angebotene Sarajevo under the Siege Tour ist vermutlich wesentlich besser, als die Touren der Stadt. Die Räumlichkeiten sind alle sauber und gut ausgestattet. Und in der eigenen Hostelbar oder im Sommer im Innenhof dauert es nur wenige Augenblicke, bis Du Leute kennenlernen wirst. Auch die Lage ist super, liegt das Hostel doch nur fünf Gehminuten von der Innenstadt entfernt. Kein Wunder, dass das Hostel auf allen Plattformen eine überragende Bewertung hat.
Darüber hinaus gibt es noch viele andere gut bewertete Hostels*, Hotels* und Apartments in Sarajevo.
- …eine Nacht im Hostel: 10 €
- …die Sarajevo under the Siege Tour: 30-35 €
- …ein Mittagessen im Restaurant: 5 €
Abschließende Worte
Sarajevo in Bosnien und Herzegowina ist eine Stadt, die mein Herz tief berührt hat. Für die ich hoffe, dass aus den vergangenen Erfahrungen und Schmerzen etwas Gutes entsteht. Dass sie es schafft, ein Beispiel für Frieden, Mut und Hoffnung zu setzen und für ganz Bosnien und Herzegowina Grenzen zu überwinden. Sarajevo ist außerdem eine Stadt, die man als Reisender nicht einfach nur besichtigt. Man wird sie unweigerlich fühlen, erleben und nicht mehr so schnell vergessen.
Weiterführende Artikel zu Sarajevo:
- Simon von Unterwegs-Reiseblog hat viele Eindrücke von Sarajevo gesammelt
- Lui und Steffi von Comewithus2 haben viele Tipps für eine Reise nach Sarajevo
- Philipp Lange berichtet bei den Reisedepeschen vom spannenden Sarajevo
Weitere Artikel zu Osteuropa:
- Ich habe einen umfassenden Guide geschrieben, um dich auf eine Osteuropa Rundreise vorzubereiten
- Wie wäre es mit einem Prag Kurztrip?
- Entdecke Backpacking in der Slowakei mit meinem Slowakei Guide
- Bratislava lohnt ebenfalls einen Besuch
- Oder wie wäre es mit ein bisschen Natur im Tara Nationalpark in Serbien?
Ich bin gespannt: Hast Du ähnliche oder andere Erfahrungen mit Sarajevo gemacht? Oder hast Du Fragen? Dann freue ich mich auf einen Kommentar von Dir.